Superman und das Scheiß-Kryptonit
Dass unser Begriff von Gelingen und Stärke ein falscher ist, zeigt sich unter anderem auch an der Geschichte jener Figur, die all das verkörpern sollte: Superman, die amerikanische Version des Übermenschen, der berüchtigtsten Idee von Friedrich Nietzsche. Superman sollte eigentlich anders sein als die traditionellen Helden und Abenteurerinnen. Er sollte keine Schwäche haben – keine Fersenprobleme wie Achilles und keine Frau sein wie Annie Londonderry und auch keine Wunde haben wie Tristan (dem regelmäßig das Bein aufplatzte, wenn ihn die Liebe heimsuchte und der es trotzdem irgendwie schaffte, einer der ersten großen Vertreter der romantischen Liebe in Europa zu werden). Die amerikanische Propaganda nach der Großen Depression sah vor, dass Superman einfach nur stark war, aber ganz ging sich das dann doch nicht aus. Denn der Sprecher der Radiosendung The Adventures of Superman, Bud Collyer, brauchte irgendwann eine Auszeit. In einer Live-Sendung ist das aber relativ schwer zu bewerkstelligen. Darum erfand man das Kryptonit, das Material, aus dem der Heimatplanet von Superman besteht und das ihn so schwach macht, dass Superman nur mehr röcheln und grunzen kann. Denn röcheln und grunzen kann nicht nur der ansonsten unverwechselbare Bud Collyer.
Dass es ausgerechnet die Herkunft ist, die verhindert, dass aus Superman eine fehlgeleitete Lesart des nietzscheanischen Übermenschen wurde, liegt nicht nur daran, ist kein Zufall. Über die Herkunft kann auch der Mann aus Stahl nicht bestimmen, egal, ob er aus Amerika oder Deutschland kommt. Als man den Plot eines verworfenen Comics von Jerry Siegel wieder ausgrub, machte das nicht nur in Ermangelung eines arbeitswilligen Bud Collyer ziemlich viel Sinn: 1949, vier Jahre nach Ende der Shoah, war man sich wohl nur schmerzlich bewusst, dass es Dinge in der Vergangenheit gibt, die man nicht hinter sich lassen kann. Aber gerade jene Passivität, mit der man Superman wegen seinem beurlaubten Sprecher versah, beschert diesem ein ganz besonderes Glück: Als er Batman um Hilfe bat, offenbarte er ihm seine wahre Identität und bekam dadurch einen ersten, richtigen Freund.
Die eigentliche Gegenfigur von Superman ist daher nicht Lex Luthor, sondern Captain America aus der Marvel-Welt. Captain America ist zwar anders als Superman und die anderen Kryptonier:innen ein Mensch und darum sterblich; aber in einer anderen Hinsicht ist er weniger verletzlich – und ebengerade darum weniger stark. Captain America wurde vor dem Zweiten Weltkrieg am Polarkreis nämlich versehentlich eingefroren. Als er wieder aufgetaut war, musste er zu seinem Bestürzen feststellen, dass er den Kontakt zu den anderen verloren hatte. Denn er hatte 70 Jahre lang nicht erlebt, was sie erlitten hatten und so es war es ihm unmöglich, zu verstehen, was in den anderen vorging. Genaugenommen besteht Captain Americas Problem also darin, dass er kein Problem hat.
Es zahlt es sich also eigentlich gar nicht aus, einen auf Chuck Norris zu machen.